'Another Drama’ – unter diesem Titel verwandelt der Londoner Künstler Donald Urquhart den Schnittraum in ein Kino. Gezeigt wird sein neuer Kurzfilm 'L’ Entr’acte’, ein Drama hinter den Kulissen. Doch zunächst erblickt man die großformatigen Fotokopien von Originalzeichnungen des Künstlers, die an den Wänden des ersten Raumes aneinandergereiht wie Filmplakate wirken. Offensichtlich befindet man sich in einer Art Foyer.
Die Zeichnungen, immer in Schwarz weiß gehalten und mit scharfen Konturen ausgeführt, erinnern stark an Comicbilder oder Scherenschnitte. Auf skurrile Weise verbindet Urquhart in seinen Bildern Elemente aus den verschiedensten Ikonographien und literarischen Vorlagen. Darstellungen viktorianischer Frauen und schwuler Erotik, die Märchenwelt Mary Poppins, Fetisch- und Comicfiguren, Elemente der Pop Art und des Jugendstil sowie Tier- und Pflanzendarstellungen werden miteinander vereint. Mit besonderem Interesse und viel schwarzem Humor entlarvt Urquhart festgelegte Rollenbilder. Eine Arbeit zeigt verschiedene Hundefiguren, die scheinbar dem Zwang unterliegen, ständig für Unterhaltung zu sorgen oder sich selbst zu quälen. Es sind Pavlov’sche Hunde, ihren tragischen Rollen ohnmächtig ergeben. Hier wird zum einen der oft perverse Umgang mit den ‚geliebten’ Haustieren vorgeführt. Ebenso gut kann man sich die Arbeit aber auch als Parabel auf das gesellschaftliche Rollenverhalten des Menschen vorstellen. Gerne kombiniert Urquhart die Bildelemente mit Text, der die entworfene Szene mit wenigen Worten kommentiert. Daraus ergibt sich oftmals eine überraschende Wendung ins Komisch-Tragische. Auf einer Zeichnung sieht man die Köpfe einer Giraffe und eines Esels, die mit einem traurigen Gesichtsausdruck aus einem Waggon hervorragen. Dieser trägt die Aufschrift ‚Broken Toys’ und weist beide als nunmehr stillgelegte Spielzeugtiere aus. Eine andere Zeichnung zeigt eine ablaufende Sanduhr, die scheinbar schwerelos durch das Weltall kreuzt, darunter die Worte ‚Time Dies’. Auf paradoxe Weise wird der Unendlichkeit von Zeit und Raum drohend ein Ende angekündigt.
In den eigenwilligen Kosmos Urquharts eingeführt gelangt
man durch einen Vorhang in den als Cinema ausgewiesenen Vorführraum
des Films. „L’ Entr’acte“ ist die erste
Filmarbeit des Künstlers und nur mit Laiendarstellern gedreht.
Der 17minütige Schwarz-Weißfilm spielt im Backstagebereich
eines Theaters. Der Vorhang nach dem ersten Akt ist gerade gefallen.
Die letzten Schauspieler verlassen unter Applaus die Bühne,
um sich auf den zweiten Akt vorzubereiten – und schon
nimmt das ‚wirkliche’ Drama seinen Lauf. Eine Tänzerin
stürzt beim Abgang und schnell muss Ersatz gefunden werden.
Was nun folgt ist eine alptraumartige Verdichtung von Ereignissen.
Durch schmale Korridore mit spärlicher Beleuchtung bewegen
sich hektisch Schauspieler, Techniker und Bühnenarbeiter.
Kostüme werden gewechselt und die Bühne umgebaut.
Die ohnehin schon angespannte Situation eskaliert immer mehr.
Die Hauptdarstellerin des Stücks, gespielt von Urquhart
selbst, erhält eine Nachricht und bricht daraufhin in Tränen
aus. Ein Darsteller wird beim Kostümwechsel mit seiner
alkoholkranken Mutter konfrontiert. Jemand will um jeden Preis
an der Vorstellung mitwirken und eine Maskenbildnerin verweigert
ihren Dienst. Es herrscht großer Zeitdruck, der zweite
Akt soll in Kürze beginnen. Die Situation erscheint zunehmend
ausweglos.
Die Ausstattung des Films ist ganz auf die Theatralik abgestimmt.
Kulissenteile stehen herum, man sieht Vorhängen und das
typische Theatertauwerk, Textblätter, Schminke und Kostümteile
liegen verstreut. Überall entdeckt man Urquharts Zeichnungen,
von denen man einige aus dem ‚Foyer’ wiedererkennt.
Geschickt in Szene gesetzt scheinen sie mit der Umgebung zu
verschmelzen und das Filmset um imaginäre Flure und Räume
zu erweitern. So wie die Hauptdarstellerin nicht mehr zwischen
Schein und Sein zu unterscheiden weiß, verliert auch der
Zuschauer jedes Gefühl für Realität. Nachdem
jene mehrere hysterische Anfälle bekommen hat, hört
man bald das fordernde Klatschen des Publikums, welches weiter
unterhalten werden will. The show must go on - und irgendwie
geht es dann auch weiter. Wirklich alles scheint hier Theater
zu sein und das Stück changiert zwischen groteskem Klamauk
und katastrophaler Tragödie. Dazu trägt vor allem
das wunderbar überzogene Spiel der Laiendarsteller bei.
Die gesamte Ausstellung entlarvt und karikiert die sogenannte Wirklichkeit als großes Theater mit doppelten Böden, in dem jeder seine Rollen spielt. Doch man wird von Urquhart dafür nicht an den Pranger gestellt. Ganz im Gegenteil scheint er darin ein Naturgesetz zu sehen und seinen Spaß daran zu haben. Im ‚Foyer’ hängt auch eine Gesteck aus roten Rosen an der Wand. Es formt die Worte ‚Life goes on’. Was wie eine Aufmunterung zur Überwindung des Theaters klingt, entpuppt sich sofort als ‚Another Drama’ – die Blumen sind aus Plastik.
Donald Urquhart wurde 1963 in Schottland geboren.
Er lebt und arbeitet in London.
Zum ersten Mal trat er mit seinen Arbeiten in der Londoner Clubkultur
in Erscheinung. Seit den frühen 90er Jahren betreibt er
dort zusammen mit Freunden die Veranstaltungsreihe „The
Beautiful Bend“, eine Mischung aus Kabarett, Performance,
Stripp und Drag. Für diese thematisch wechselnden Abende
entwirft Urquhart die Flyer und dekoriert die Wände mit
Fotokopien seiner Zeichnungen. Erst seit den letzten Jahren
werden seine Arbeiten auch im Ausstellungskontext gezeigt, so
etwa 2004 in der Ausstellung „Wolfgang Tilmanns presents“
im Frankfurter Portikus. Er wurde für den Beck`s Future
Prize 2005 nominiert und ist auf der diesjährigen Frieze
Art Fair in London vertreten, wo der hier gezeigte Film uraufgeführt
wird.
Daneben schreibt und publiziert Urquhart Erzählungen und
Theaterstücke.